Unverändert: Ich stelle immer wieder fest, dass – wie Goethe schon sagte – Reisen bildet. Die Reise kommt dabei oft zu mir geflogen und ich folge intuitiv. Am Morgen, kurz vor dem Aufbruch dann immer der Gedanke: „Warum tust du dir das an?“ Und am Abend, kurz nach der Ankunft: „Ja! Das war eine wichtige Erfahrung.“ Es tut mir gut, aus meiner Blase herauszukommen, aus der heilen Ehe-, Münster- und Ego-Welt. So auch bei meinem Kopenhagen-Wochenende, wo ich auf einem Konzert von Caecilie Norby war, die ich im Film Die Jagd nach dem Nierenstein kennen und lieben gelernt hatte.
Caecilie Norby: „In Großvaters Herz bin ich nie gestorben.“
Auf der Rückfahrt dann eine Email: Es gibt noch Restplätze für das Seminar Clown und Tod mit Miriam Brenner! Ein schneller Check, ob es für mich überhaupt machbar ist. Es findet in Offenbach statt, da kommt man gut mit der Bahn hin, check. Ich habe an diesem Wochenende keine Termine, check. Es ist einfach mein Thema, some opportunities only come once, seize them, check. Ich sage mit einem guten Gefühl zu, das sich noch erheblich steigert, als ich auf der Webseite von Miriam einen Artikel zu ihrer Hospizarbeit (pdf) finde. Sie macht diese Arbeit seit 16(!) Jahren und sie schreibt von „im Hier und Jetzt wirklich da zu sein mit sperrangelweit-offenem Herzen.“ Das ist es! Beides berührt mich, da will ich auch hin, das spricht mich total an. Treffer! Zudem muss ich sofort an den Anspruch von Maulana Jamaluddin Rumi über das ‚Knarren der Paradiestore‘ denken (der Othodoxe denkt, sie gehen zu, der Sufi denkt, sie gehen auf).
Zu Hause halten mich alle für bekloppt, auf ein solches Seminar zu gehen, und am Morgen – es ist Freitag, der 1. Dezember, und es fegt gerade eine Schneewelle über Deutschland – überkommt mich s.o. der deutliche Gedanke: Nein, tu das nicht, das ist dein Tod! Als erstes fällt mein IC aus und ich muss/darf einen anderen Zug nehmen. Alle sind ausgebucht, doch in einem finde ich noch einen reservierbaren Sitzplatz. Mit dem ICE bin ich viel zu früh in Frankfurt und so besuche ich noch eine Freundin in Mainz, die dort gerade auf einem Seminar zu Würdezentrierter Therapie für Sterbenskranke teilnimmt. Im Weinhaus Michel ist also für Gesprächsstoff gesorgt, zumal wir dort die anderen Teilnehmerinnen des Kurses und auch die Kursleiterin treffen, die ich seit einigen Jahren kenne und schätze. Meine Freundin bringt mich noch zur S-Bahn – ich soll ihr unbedingt von dem Seminar erzählen – und so habe ich eine schöne Fahrt ins Offenbacher Hotel Achat, nicht ganz fussläufig zum Bahnhof, aber ich laufe gerne und habe ja einen Stock dabei gegen die bösen Buben…
Wieso fasziniert mich das Thema Clown und Tod so sehr? Vor 14 Jahren ist der Clown Teil meines Lebens geworden (wenn man die Zeit als Klassenclown mal nicht mitzählt 😉 ), und er mir wird mir immer wichtiger. Es ist eine schöne, lebendige und herzenserweiternde Energie, die mir (und meiner Umgebung) unglaublich gut tut, und die meinem spirituellen Weg sehr nahe ist. Mein Sufilehrer war ein Clown ‚vor dem Herrn‘, wie man so schön sagt. „Wieso bringst du deine Schüler immer zum Lachen“, wurde einst ein Swami gefragt, worauf er antwortete:
‘Nun, wenn ihr lacht, öffnet ihr den Mund. Und dies ist der Moment, da ich euch etwas Wichtiges hineinstecken kann.‘ Dann fügte er, selbst mit offenem Mund lachend, hinzu: ‚Ein lachender Mensch zeigt sich in seiner Ganzheit, die andernfalls nicht hervorträte.‘
Und auf der anderen Seite hat mich die spirituelle Reise natürlich dauernd mit dem Tod konfrontiert. Viermal am Tag soll man an seinen eigenen Tod denken. Das Leben nach dem Tod, vermutlich irgendwann im Paradies, dort die liebliche Gegenwart Gottes, kaum vorstellbar. In der ‚diesseitigen‘ Gegenwart das unendliche, unstillbare Leid von Todkranken in der Klinik und in der Literatur, aber auch ihre Respekt einflößende Haltung und Würde im Angesicht des Endes. Der Tod fasziniert mich, der Clown fasziniert mich, wo ist die Schnittmenge? Was ergibt sich, wenn man beides zusammen nimmt?
Samstag Morgen hieß es Abschied nehmen vom süßen Leben ohne Tod, denn ab 10 Uhr ging es auf die Bühne. Nach einigen Lockerungs- und Kennenlernübungen (Das ist ein Apfel, das ist eine Birne) sollte man seine Vorstellung von Sterben, Tod, und was danach kommt, mit Hilfe einer Requisite auf Gromolo darstellen. Ich hatte mir sofort den quickenden, lebensgroßen Gummibroiler geschnappt (das ist eine Birne…) und ihn höchst dramatisch ableben lassen, als mir auffiel, das da was fehlte. Schnell holte ich meine Reserveclownsnase aus Schaumstoff und imaginierte damit die Seele des armen Huhns, die nun – vom Körper befreit – durch die Luft flog, und flog, und flog, und schließlich im Keramikschirm einer Lampe landete, wo sie es schön warm hatte. Der erste Clown guckte noch etwas verdutzt, aber bereits der zweite steckte sein Requisit auch unter den Lampenschirm, so dass es darunter nun schön kuschelig war.
Dann wurden Paare gebildet, und nun wurde es ernst. Einer war Clown und der andere war – mit einem schwarzen Tuch über dem Kopf – der Tod. Der Clown durfte sich nun dem Tod nähern und ihm Fragen stellen: Was machst du so den ganzen Tag? Macht das Spaß? Wie sieht es im Himmel aus? Brauch man als Tod eine Ausbildung? usw, was ihn halt interessierte. Ich hatte einen sehr andächtigen Tod mit viel Pflichtgefühl und Empathie erwischt, und so wurde ein sehr nettes, respektvolles und informatives Gespräch daraus. Der Tod verlor seine Unnahbarkeit, bekam eine Gestalt und wurde als Person vorstellbar und nahbar. Dann wurden die Rollen getauscht, nun war ich der Tod, gab mich höchst andächtig und respektheischend – doch zu meinem Schrecken hatte ich es jetzt mit gleich zwei Clowns zu tun, die keinerlei Respekt vor mir hatten, keinen Abstand einhielten und mich sogar anfassen wollten! Das ganze Andächtige und Ehrfürchtige und Ernste und Respektvolle war weg! Ich kam mir vor wie ein Dompteur, dem die Löwen davon laufen, wie eine Kindergärtnerin, die ihre Kinder nicht im Griff hat. Das ließ mich vollkommen aus dem Konzept kommen und meine ganze Erzählung von Himmel und Tod und Ausbildung zerplatzte wie eine Luftblase… Das Scheitern war irgendwie tragisch und irgendwie witzig.
Für die nächste Übung musste die Hälfte der Gruppe sich als Tod verkleiden und draußen warten, während die andere Hälfte freies Spiel hatte. Nach etwa zehn Minuten kamen die komplett schwarz verhüllten Gestalten auf die Spielfläche. Die Musik wird ruhiger. Sie bewegten sich langsam und wie in Zeitlupe. Ich fühlte mich sofort bedroht, im Spiel unterbrochen, wurde sauer und versuchte die Gestalten zu übersehen, ihnen meinen Rücken zuzuwenden. Irgendwann klappte das aber nicht mehr, die Tode erregten meine Neugier und meine Empathie, ja Liebe. Ich versuchte sie ins Spiel einzubinden, sie mit einzubeziehen und hatte mit einer ‚Tödin‘ eine zarte, ruhige Interaktion. Dann war Mittagspause, damit alle nochmal runter kommen konnten, und nachher war ich mit zwei anderen Tod. Ich ging rein und hatte sofort die Intuition, mich auf einen Stuhl mitten in der Spielfläche zu setzen. Ich wurde beobachtet, bespielt, mit Perlenketten behängt, aber reagierte nicht. Nur als jemand die Kette wieder runterzog, ergriff ich sie mit einer Hand und ließ sie nicht mehr los, bis ich vom Stuhl gezogen wurde und – platsch – auf den Boden fiel. Großes Erstaunen bei den Clowns, nach einiger Zeit raffe ich mich wieder auf und gehe auf meine Knie. A. steht vor mir. Ich stehe auf, überrage sie schweigsam. Sie strahlt mich an. Mir werden alle möglichen Requisiten in die Hand gedrückt, ich stehe da wie die Freiheitsstatue mit erhobenem rechten Arm. Irgendwann habe ich nur noch einen Plastikblumenstrauß in der Hand, mit der ich A. segnend über die ausgebreiteten Arme fahre. Die übrigen Clownsfrauen, die sich zuvor über meine Spielunlust beschwert hatten, kommen mir mit ihren hellen, zeternden Stimmen vor wie ein Haufen überdrehter Hexen. Ich liebe es, mit / unter einer Maske zu spielen und habe sehr großen Spaß an allem, was ich tue.
Dann die große Aufgabe für morgen: Zwei Lieder für die eigene Beerdigung aussuchen! Das wird was… Und in der Tat stehe ich um halb fünf in der Früh senkrecht im Bett und scrolle heftig schluchzend meine diversen Playlists durch. Es gibt so viele gute Lieder! Ich lasse mich dann von dem HzI leiten, dem Herz-zerreißen-Index. Wenn ein Lied mich zum Weinen bringt, ist es gut. Letztendlich entscheide mich dann für Eberhard Weber: Closing Scene zum Einstieg und Chick Corea/Return to forever: Sometime ago (Minute 7-10) mit der wunderbaren Flora Purim. Die Nacht ist kurz und ich denke, wie ich wohl den Sonntag überstehen soll… Und dementsprechend bin ich den ganzen Sonntagmorgen ge- und verspannt, warte fast nur darauf, dass dieses Mammut-Events von sieben Beerdigungen á 15 Minuten gut organisiert wird. Gottseidank kann ich mich mit J. in einem Zweierteam zusammentun – er macht meine Beerdigung, ich seine, das tut uns beiden gut.
Der Sonntag startet wieder mit Aufwärmspielchen, diesmal ist Whiskymixer, Wachsmaske und Meßwechsel dran, man darf nicht lachen und zum Schluss laufen wir alle nur noch Strafrunden und keiner ist mehr da, der tstststs macht 🙂
Für die ‚absolute Lieblingsübung‘ von Miriam bekomme ich N. zugelost, und das wird nochmal ganz hart und mega berührend. Es ist die bekannte „Was machst du?“-Übung mit der Abänderung, dass nach einer bestimmten Zeit einer der beiden Clowns stirbt. Nach 10 Minuten gibt Miriam ein Zeichen und N. legt sich kommentarlos auf die Matte und bewegt sich nicht mehr. Ich weiß gar nicht, was da passiert und frage immer verzweifelter „Was machst du?“, doch ich bekomme keine Antwort. Nach einiger Zeit werde ich traurig und meine Fragen immer leiser, und dann weist Miriam uns an, die vorbereiteten schwarzen Tücher über den Toten zu legen. Ich will nicht, ich gehe mit Minimäuseschritten zum Stuhl, auf dem das Tuch liegt, doch kann es nicht aufheben. Es ist so endgültig. Dann nehme ich es auf, doch ich halte es wie einen Fremdkörper von mir weg, will nichts machen damit. Die ganze Trauer kommt nun raus. Ich schluchze herzergeifend. Dann schließlich schaffe ich es doch, sie mit dem Tuch zu bedecken, und nun fällt es mir leichter, mich zu veranschieden und zu gehen. Nach der Pause bekomme ich A. zugelost, ich lasse ihr ganz bewusst Zeit, in die Darstellung zu gehen. Als ich ‚sterbe‘, ist es leicht, ich bekomme nichts mehr mit und muss nichts mehr tun, sehr angenehm. Auch als A. mir das Tuch über das Gesicht legt. Statt langsam wegzugehen, legt sie sich zu mir, was mir gar nicht auffällt. Auch eine Art, mit dem Tod umzugehen (wir sind ja so verschieden!).
So geht die Zeit schnell um, und dann gilt es auch schon, die Beerdigung vorzubereiten, wir haben jetzt nur noch sieben Minuten, dem Trauerredner mitzuteilen, wie unser Leben war und wie wir uns die Beerdigung wünschen.
Ich schreibe mir alles genau auf, habe aber keinen Plan, wie ich das rüberbringen soll, erlasse mich dabei auf meine Intiution. Doch zuerst ist H. Dran, unsere 67jährige Schauspielerin, die A. sehr anständig und witzig beerdigt. Ich melde mich sofort danach, es brennt mir auf den Nägeln und dann habe ich es hinter mir. Letzte Instruktionen an Miriam, dann kann die Trauergemeinde Platz nehmen, J. setzt sich hinten links hin. Ich habe mir ein schickes schwarzes Jacket aus Miriams Requisitenkiste angezogen und versuche so feierlich wie möglich zu wirken. Hier liegt J., der Schauspieler (hoffentlich ist er wirklich tot und schauspielert nicht). Ich benutze die Musik, um den Sarg liebevoll zu drapieren, Lichter hinzustellen, die Decke gerade zu zupfen, doch dann ist alles getan und die Musik noch nicht zu Ende, also setze ich mich hin, ich will keinesfalls die feierlich-traurige Stimmung durch ein Rumgehampel vor dem Sarg stören. In der letzten Reihe versucht Miriam meine Aufmerksamkeit zu erregen: Ich kapiers nicht. Was soll ich machen? Ok, geschenkt. Ich sitze und sitze und die Musik spielt immer noch, das zieht sich… Das Problem hat H. auch gehabt… Nun gut, einmal ist sie zu Ende, und ich stehe auf und fasse J. Leben zusammen. Ich gehe ganz in meiner ernsten Rolle auf und möchte es gut und feierlich abhalten. Dann verabschiede ich mich mit meinem großen rot-karierten Taschentuch, winke J. hinterher, das hatte er sich gewünscht. Die Trauergemeinde kommt dazu und macht es mir nach. Wir tanzen um den Sarg und legen zum Schluß alle unsere Taschentücher auf den Sarg, das sieht wunderschön aus und J. ist sichtlich angefasst und begeistert. Zum Schluß rufe ich noch laut „Party!“, denn das war auch noch eine Option für ihn gewesen.
Dann bin ich dran, die Musik startet, ich werde ganz traurig, doch dann blendet Miriam sie auch schon wieder aus. J. hat sich schön gemacht und hält mit Anstand seine Trauerrede bzw. versucht es. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder seinen soll, beides scheint gleichzeitig möglich zu sein. Ich habe J. von meinen drei Beziehungen und meiner Sturm-und-Drang-Phase in Aachen erzählt und nun wendet und dreht er seine Notizen und bringt alles so herrlich durcheinander, dass ich mich nur noch ausschütten könnte vor lachen. Es ist ja auch wirklich absurd, was man da so alles (getan haben soll) zu hören bekommt, so in der Kürze klingt es einfach nur durchgedreht und witzig. Und wieder tanzen alle um den Sarg herum, diesmal ist es meiner, und wieder ist es berührend zu sehen. Dann ist auch bald Schluß, viele müssen zum Zug oder gucken, wie sie wegkommen. Ich muss noch lange über dieses besondere Seminar nachdenken. Ich fühlte mich immer von Miriam und der Gruppe getragen und noch Tage später bin ich ganz voll mit Gedanken, Emotionen und Erinnerungen.
Lessons learned
- Nach Susun Weed sind Krankheit und Tod nach der Heiltradition der Weisen Frau natürliche Verbündete für die persönliche Transformation. Im Gegensatz zur Heiltradition der Wissenschaft („Vertrau auf die Laborwerte“) und der heroischen Tradition („Ich werde dich retten“) sagt die Weise Frau „Ich spiele mit dir im heiligen Garten“. Krankheit und Spiel, Tod und der Spieler liegen so nach beieinander.
- Das Seminar „Clown und Tod“ behandelte die Bereiche Tod, Sterben, Verlust, Beerdigung.